Häufig wird Betroffenen grundsätzlich unterstellt, nur Aufmerksamkeit zu wollen.
Zuerst frage ich mich, was daran falsch sein soll. Jeder Mensch hat Aufmerksamkeit verdient.
Gerade diejenigen, deren Grundbedürfnisse, zu denen auch Aufmerksamkeit und Zuwendung gehören, bereits als Kind nie erfüllt wurden. Sie wurden nicht geschützt, weil niemand auf sie aufmerksam wurde, und ihre Sorgen und Nöte übersehen oder abgetan wurden.
Ja, wir wollen Aufmerksamkeit auf diese Themen lenken.
Aber wir wollen keinen „Fame" für uns.
So paradox es auch durch unsere Öffentlichkeitsarbeit wirken mag: Ich könnte Badewannen mit Angstschweiß füllen, wenn ich mir nur vorstelle, ich sollte nun live im Fernsehen oder im Radio Interviews geben. Das liegt mir nicht.
Um meine Person geht es dabei am allerwenigsten.
Ich nutze hier meine Stimme, weil ich es kann. Ohne das Sprachrohr von allen anderen sein zu wollen.
Denn alles ist im höchsten Maße individuell. Gerade Leidens- und Lebensgeschichten, und wie man mit diesen Erfahrungen umgeht.
Seht mich nur als ein Beispiel für sehr viele Menschen an.
Und hört euch meine Verluste an, hört von den Kindern, die nicht überlebten. Es gibt jeden Tag Kinder in derartigen Strukturen, die nicht überleben. Überall auf der Welt.
Es ist überlebensnotwendig für Betroffene von sexualisierter, organisierter, ritualisierter und jeglicher anderen Gewalt, dass man ihnen zuhört. Es ist gleichzeitig auch Prävention.
Wobei das Wort „Prävention“ hier irreführend ist. Indem man Opfern zuhört, verhindert man nicht, dass der Missbrauch[1] geschieht. Aber möglicherweise kann man dafür sorgen, dass er nicht noch weitere Jahre anhält. Es ist wichtig, das Thema nicht wegzuschieben. Kinder können sich nicht selbst helfen. Vor allem sie brauchen Menschen, die ihnen zuhören, die ihnen glauben, die ihre Erlebnisse nicht ins Reich der Fantasie und Verschwörung verbannen.
Und auch erwachsene Menschen wie wir brauchen Unterstützung.
Politisch, gesellschaftlich, und zur Gesundheitsfürsorge.
Es gibt aber leider Strömungen, die genau das verhindern (möchten).
Und auch deswegen schreiben wir dieses Buch.
Denn leider ist es in der Welt, in der wir leben, en vogue, marginalisierte Gruppen von Menschen, darunter auch Opfer[2] von Gewalt jeder Art, besonders aber der sexualisierten, organisierten und rituellen Gewalt, unsichtbar zu machen und erneut zu viktimisieren.
Es wird oft die Aussage getroffen, dass es rituelle Gewalt nicht gebe. Das liegt das vorrangig daran, dass die oft hochkomplexen Erfahrungen, die die Betroffenen in ihren eigenen Leben machen mussten, nicht in ein paar Sätzen erklärt sind und diese schon gar nicht zu den verzerrten Vorstellungen passen, die bestimmte Leute und die Öffentlichkeit davon haben.
Dadurch spaltet dieses Thema die Meinungen und gilt als kontrovers.
Es ist uns also wichtig, den Begriff „rituelle Gewalt“ mit dem zu füllen, was er in der Realität für die Betroffenen bedeuten kann, für uns bedeutet hat, und was sich wirklich hinter diesem so abstrakten und stigmatisierenden Begriff verbirgt.
Das Zerrbild rund um rituelle Gewalt kommt vor allem daher, dass es Menschen gibt, die unter anderem in Medienkampagnen Fehlinformationen über sexuelle, organisierte und rituelle Gewalt verbreiten, und damit einhergehend auch über die Dissoziative Identitätsstörung, Erinnerungsvorgänge und Amnesien, und auch über angebliche Verschwörungstheorien in Psychotherapien im Allgemeinen. Das möchten wir nicht weiter auf uns sitzen lassen.
Fangen wir an:
Man kann die Akteure, die daran arbeiten, uns unglaubwürdig zu machen am besten unter den Begriffen „Skeptiker“ und „False-Memory-Anhänger“ zusammenfassen.
Vielleicht hast du schon von ihren Theorien gehört, vielleicht auch nicht.
Sie werfen uns aufgrund der eigenhändig kreierten Zerrbilder vor, dass wir Betroffene und unsere Helfernetzwerke lediglich Verschwörungstheorien anhingen.
Das allein ist schon irreführend. Verschwörungstheorien sind definitionsgemäß eines: Spekulationen! Es sind nicht verifizierte Theorien darüber, was eine Gruppe von Menschen getan, geplant und ausgeführt haben KÖNNTE.
Es gibt zum Beispiel Menschen, die glauben, die Mondlandung habe nicht „in echt“ stattgefunden. Sie schauen Videos und spekulieren darüber, wie man das gefaked haben könnte und warum.
Wir spekulieren aber nicht. Wir fragen uns nicht, was wer da draußen getan haben könnte.
Nein, wir sprechen über unsere eigenen Erlebnisse und Erfahrungen aus erster Hand!
Das Wort Verschwörungstheorie ist also für uns vollkommen unzutreffend.
Das Problem ist, dass es tatsächlich Verschwörungstheorien rund um „satanistischen Missbrauch“ gibt. Man muss hier schon sehr genau hinschauen und differenziert denken.
Das Thema ist zu komplex, um bereits im Vorwort alles aufzulösen.
Eines der Probleme ist, dass die Akteure rund um False Memory und um die angebliche Verschwörungstheorie, die sie „Satanic Panic“ nennen, die rituelle Gewalt an unserer Stelle definieren.
Sie sind es, die behaupten, wir würden grundsätzlich von elitären Verschwörungen von Satanisten sprechen. Das tun allerdings die wenigsten der von ritueller Gewalt Betroffenen und auch wir Nirik nicht. Ich sage es hier ganz deutlich: Wer von einer weltweiten Verschwörung und einer satanistischen Weltelite spricht, spricht NICHT für uns Nirik!
Weil es einfach nicht unseren Erfahrungen entspricht.
Für uns geht es grundlegend um sexualisierte, sadistische, organisierte Gewalt, um Menschenhandel und die Kommerzialisierung von Kinderkörpern.
Wenn wir von ritueller Gewalt sprechen, dann bedeutet das, dass es ein Glaubenskonstrukt dahinter gibt, mit dem unsere TäterInnen die Gewalt legitimiert haben.
Damit passen wir nicht mehr in das „Verschwörungsnarrativ“, welches die Skeptiker und False Memorianer erst für uns alle einheitlich kreiert haben.
Sobald wir aber wegen all dieser Vorwürfe, präziser werden, ausführlicher erklären, was wir meinen, wirft man uns vor, dass wir den Diskurs lediglich auf „glaubwürdigere“ Gewaltformen verschieben würden.
Lasst uns einmal genauer anschauen, welche Akteure und Gruppierungen uns Betroffene unglaubwürdig machen wollen.
Ab dem Jahr 1992 verbreitete in den USA die False Memory Syndrome Foundation (FMSF)
ihre Theorie bezüglich falscher Erinnerungen.
Ich muss an dieser Stelle auch einmal darauf hinweisen, dass in der Wissenschaft das Wort „Theorie“ ein umfassendes und gut begründetes Erklärungssystem darstellt - und nicht, wie im allgemeinen Sprachgebrauch üblich, eine „Vermutung“ oder „unbewiesene Idee“.
Man hält sich dabei an vorliegene Daten. Jede wissenschaftliche Theorie basiert auf einer Vielzahl von Beobachtungen, Studien und Experimenten.
Die „False-Memory-Theorie“ jedoch wurde nie wissenschaftlich nachgewiesen und basiert hauptsächlich auf den leugnenden Aussagen mutmaßlicher Täter. Dieses Syndrom erhielt nie Eingang in die Klassifikations- oder Diagnosemanuale und ist daher als unbewiesene Idee anzusehen, die als Wahrheit verkleidet durch die Gesellschaft geistert.
Weder die damalige, noch die seitdem erfolgte Trauma-Forschung wird darin nennenswert berücksichtigt.[3]
Laut FMSF sind Überlebende, die von Missbrauch sprechen, „hysterisch“ und leiden am „False Memory“-Syndrom, welches nichts anderes bedeutet, als dass man sich einfach falsch erinnert und es den Missbrauch, von dem man erzählt, nie gegeben hat.
Wegen der fehlenden wissenschaftlichen Akzeptanz löste sich die FMSF in den USA 2019 auf.
Der deutsche Ableger, False Memory Deutschland e.V. (FMD), macht jedoch mit derselben Ausrichtung weiter.
FMD sieht sich selbst als unabhängig von der FMSF, nutzt aber dieselben Desinformationsstrategien und „Argumente“ wie anno 1992 . Daher kann ich hier eigentlich höchstens eine formale Distanz erkennen.
Dass FMD keinen Bezug zur klinischen und empirischen Wissenschaft hat, stellt Hans Delfs, Gründungsmitglied der FMD, in seinem Buch über falsche Erinnerungen unmissverständlich heraus.[4]
Nach eigenen Angaben beschäftigt er sich bereits seit 25 Jahren mit falschen Erinnerungen und gründete dann 2012 mit anderen zusammen den Verein False Memory Deutschland.
Beide Arten der Forschung, die üblicherweise Hand in Hand miteinander gehen, hält er für „schwierig“, da in diesen Bereichen die Kliniker nur ihre Vorannahmen per Zirkelschluss belegen würden und ihre Ergebnisse daher keine echte Relevanz aufweisen könnten. Jahrelange Erfahrung in der psychotherapeutischen Behandlung findet er ebenfalls „schwierig“, da die Therapeut:innen ihre jeweils eigenen Überzeugungen und Erfahrungen über die Patient:innen überstülpen würden. Er findet auch, dass jede Psychotherapie von Grund auf suggestiv ist und bezieht sich dabei auf Freud - ohne zu berücksichtigen, dass der narzisstische Kokser Sigmund Freud für die heutige Psychotherapie vollkommen irrelevant geworden ist.
Delfs stellt sowohl das Therapiesetting als auch die Forschung so dar:
Ein Therapeut nimmt an, dass die Ursache für Depressionen im Missbrauch liegt. Er bittet die Frau, sich diesen in Erinnerung zu rufen oder vorzustellen.
Nach und nach entwickelt die Frau daraufhin falsche Erinnerungen, welche die Theorie des Therapeuten zu beweisen scheinen.
Ende vom Lied.
Delfs sagt, dass „Psychowissenschaften“ nicht genau definiert seien und man deswegen aufpassen müsse, um welche Art von Wissenschaft es sich handele, auf die man „hört“.
Offensichtlich ist, dass er sich tatsächlich nie mit den Verfahren in einem Therapiesetting oder den wissenschaftlichen Methoden auseinandergesetzt hat.
Er vertraut lediglich der „Erfahrung“ und der „Wissenschaft“, die False Memory zu bieten hat. Diese Erfahrung ist in seinen Augen legitimer als die von Psychotherapeut:innen und natürlich gar nicht voreingenommen, suggestiv und sich selbst bestätigend.
Mit diesem Beispiel lässt sich gut zeigen, dass sich die FMD aufgrund der Voreingenommenheit tatsächlich nicht an empirischen und klinischen wissenschaftlichen Fakten orientiert.
Sein Buch, so schreibt Delfs selbst, hat keinen wissenschaftlichen Anspruch. Darin zu finden ist ein wilder Mix aus korrekten, falschen und verzerrten Aussagen sowie Halbwahrheiten aus der Welt der False-Memory-„Wissenschaft“ und dem, was er mal so aufgeschnappt hat.
Die zweite Gruppierung, die in den Tenor der FMD einfällt, sind die Skeptiker der GWUP.[5]
Wir kommen gleich noch auf die Akteure im Einzelnen zu sprechen.
Fassen wir die „Informationen”, die beide Gruppierungen der Öffentlichkeit mithilfe der Medien zukommen lassen, einmal kurz zusammen:
Sie reden über angebliche Verschwörungstheorien, sprechen von suggestiven Therapieskandalen. Insbesondere dann, wenn es sich um den Tatkomplex ritueller Gewalt dreht.
Sie behaupten, die Therapeut:innen, die uns behandeln, redeten uns Betroffenen all das erst ein oder sie würden uns einfach unhinterfragt „den größten Unsinn glauben”. Sie behaupten auch, dass nur ein kleiner Kreis von Traumaexperten von ritueller Gewalt spricht, und dass sich dieser radikalisiert hätte.
Sie behaupten, die Dissoziative Identitätsstörung sei sehr selten oder würde iatrogen[6] entstehen, sei von Therapeut:innen konstruiert oder lediglich kulturell geprägt.
Die Betroffenen würden sich etwas einbilden oder allen etwas vorspielen, um sich sich zu etwas „Besonderem” zu machen. Oder sich in Internetforen alles gegenseitig einreden.[7]
Außerdem ließe die DIS auch keinen Rückschluss auf ein Trauma zu, das würden die Therapeut:innen dann einfach herbeifantasieren.
Darüber hinaus meinen sie, die Diagnose DIS sei grundsätzlich nicht valide - da sie nur auf Basis von Expertenmeinungen entstanden sei.[8]
(Zynisch gesagt finde ich es bewundernswert, wie viele andere Möglichkeiten diese Leute für die Entstehung einer DIS in Betracht ziehen - außer natürlich Gewalt.)
Sie behaupten auch, dass es nicht möglich sei, traumatische Erfahrungen zu „vergessen” oder zu „verdrängen”. [9]
Ich denke, dass es am wichtigsten ist, zuerst über die Qualifikationen der False Memorianer und Skeptiker zu sprechen.
Denn dann kommen wir nicht umhin, zu bemerken, dass diese in keinem Fall den Qualifikationen der Traumaexperten ebenbürtig sind.
Das bedeutet, dass False Memory und die Skeptiker lediglich eine polemisch aufgeheizte Debatte anführen.
Offenbar schätzen die False Memorianer und Skeptiker ihre eigene Meinung als qualitativ hochwertiger ein als die Expertise derer, die sich jeden Tag mit diesen Themen intensiv beschäftigen.
Die FMD-Mitglieder und Skeptiker sind allzuhäufig Theologen, Journalisten, Fernsehmoderatoren, Entertainer, (populärwissenschaftliche) Schriftsteller, Verwaltungsfachangestellte, Menschen aus Gastronomie und Hotelgewerbe, Physiker, IT und KI-Experten und Politikwissenschaftler. Sogar ein selbsternannter Hohepriester einer satanistisch-okkulten Gruppierung ist dabei, der nach eigenen Angaben Berufssoldat ist.
Laien also, die keinerlei medizinische Ausbildung haben.
Ja, sie zitieren zwar immer wieder auch Psychiater:innen, die sie als Experten vorstellen, aber was davon zu halten ist, dazu kommen wir gleich.
Und man verstehe mich bitte nicht falsch:
Heutzutage ist es, im Gegensatz zu den 90er Jahren, als False-Memory-Pioniere das Unwissen der Gesellschaft ausnutzen konnten, leicht, sich entsprechende Informationen über die Forschung rund um Trauma zu beschaffen.
Es gibt gute Fachlektüre. Die entsprechenden wissenschaftlichen Studien sind zum großen Teil frei im Internet abrufbar. Wir haben selbst in der letzten Zeit mehr als 80 solcher Studien gelesen, nur wenige davon mussten wir kaufen.
Selbst Laien, wie die genannten Personenkreise, könnten sich dieses Wissen aneigenen.
Sie, die Skeptiker und False Memorianer, tun es vermutlich nur nicht, da Fachmenschen, die ihre Überzeugungen nicht teilen, in ihren Augen nichts „taugen”.
Ich möchte also bezüglich des Qualifikationsgefälles eines ganz klar herausstellen:
Interdisziplinär und international setzen sich Expert:innen gemeinsam mit Traumafolgestörungen auseinander.[10]
Das reicht von Psychotherapeut:innen und Psychoanalytiker:innen bis hin zu Bindungsforscher:innen, Neurowissenschaftler:innen und Expert:innen für Neuroimaging.
Von Ärzt:innen und Psychiater:innen hin zu Professor:innen für Kriminologie und Sexualwissenschaftler:innen, die allesamt dafür aus- und weitergebildet sind und Erfahrung auf dem Gebiet vorweisen können.
Viele dieser Expert:innen haben ihr gesamtes Leben dieser Forschung und der Behandlung Betroffener gewidmet.
Sie arbeiten zusammen in zahlreichen Fachverbänden und an renommierten Universitäten und Instituten. Dabei besteht ein Konsens bezüglich des Wissens, das man heute über Trauma und Traumafolgestörungen hat.
Es herrscht auch ein Konsens darüber, dass die Schilderungen der Betroffenen bezüglich ritueller Gewalt, so, wie wir sie verstehen, nachvollziehbar und schlüssig sind.[11]
Das ist auch kein Wunder. Schließlich erfahren die Therapeut:innen weit weit mehr in den Therapiestunden, als je nach außen dringt. Schweigepflicht. Macht Sinn, you know?
Das alles sind also die Experten:innen, die weithin anerkannt sind.
Es könnte gerne mehr davon geben, ja, unbedingt! Aber es ist keinesfalls ein „kleiner Kreis von Verschwörer:innen“, wie von den False Memory-Anhängern behauptet.
Diese Expert:innen entwickeln sich stets weiter. Sie forschen, stellen ihre Thesen angesichts neuer Erkenntnisse in Frage und untersuchen erneut.
Das sind Menschen, die sich auskennen und vor allem, die auch klinisch mit und nahe an den Betroffenen arbeiten, so wie es sein muss.
Denn in keinem Bereich der medizinischen Forschung zu Krankheitsbildern und Symptomatiken wäre es denkbar, die Erfahrungen von Betroffenen außen vor zu lassen oder abzutun.
Genau das aber tun und fordern die FMD und GWUP, indem sie uns alle trotz offizieller Diagnose zu „selbstdefinierten Betroffenen“ degradieren, die man keinesfalls ernst nehmen oder an Studien teilnehmen lassen darf.
Sie erkennen uns damit auch unser Leid ab oder definieren es nach ihren Maßstäben.
Fakt ist auch:
Seit mehr als hundert Jahren forscht man zu Traumafolgeerkrankungen - zusammen mit den Betroffenen. So auch mit traumatisierten Soldaten, mit KZ-Überlebenden, mit Überlebenden von sexualisierter Gewalt.
Und jede Generation der Wissenschaftler:innen lernt von der vorherigen und macht von da aus weiter.
Man könnte jetzt also durchaus sagen, dass die False Memorianer und die Skeptiker sich radikalisiert haben, da sie sich weigern, valide Wissenschaft zur Kenntnis zu nehmen.
Nur mal nebenbei gesagt: Das alles sind Kennzeichen einer Verschwörungstheorie.
Denn Verschwörungstheoretiker lassen in der Regel wissenschaftliche Erkenntnisse nicht gelten und finden gerne einfache Lösungen für komplexe Probleme.
Die zentrale These der FMSF und damit auch der FMD lautet: „Das Opfer erinnert sich falsch“.
Um das zu vertreten, stützen sie sich auf Ergebnisse der Gedächtnisforschung.
Frau Elizabeth Loftus hatte mit ihrer Studie „Lost in the Mall“ 1995 damit begonnen, zu beweisen, dass man Menschen etwas einreden kann, wenn man Menschen etwas einredet.
Zumeist wurde dies mit Hilfe nahestehender Vertrauenspersonen getestet. Diese legten den Proband:innen gefälschte Fotos vor. Dabei ging es zumeist um ein Ereignis in der Kindheit, welches nie stattgefunden hatte.
Die Vertrauenspersonen erzeugten einen hohen Suggestionsdruck und stellten eine ebenso hohe Erwartung an die Testperson, eine falsche Erinnerung zu liefern.
Aber diese, und viele Folgestudien anderer Gedächtnisforscher, bestätigten auch immer Einschränkungen. Die Suggestion war nicht in jedem Fall möglich.
Darüber hinaus zeigten Studien in Bezug auf komplexere und nicht-alltägliche Ereignisse (im Gegensatz zum Verlorengehen in einem Einkaufzentrum) auf, dass die Suggestionen scheiterten.
Auch auf die Auswertung dieser Studienlage kommen wir später zurück.
Es ist ja grundsätzlich korrekt: Kein Gedächtnis ist zu 100% perfekt, und es bildet nie Geschehnisse ab, als seien diese mit einer Videokamera aufgenommen worden.
Auch unser eigenes Gedächtnis ist nicht perfekt und wir behaupten das auch gar nicht.
Detailfehler in Erinnerungen lassen aber keineswegs den Schluss zu, dass das gesamte Ereignis niemals stattgefunden haben kann.
Genau darauf bauen die False Memorianer ihre Behauptungen auf, wenn sie behaupten, Erlebnisse, wie wir sie hier berichten werden, seien lediglich von Therapeut:innen suggeriert worden.
Aber nur, weil die Möglichkeit der Suggestion existiert, bedeutet das nicht, dass dies in der Therapie üblich wäre. Zumal die Therapeut:innen in der Ausbildung dahingehend sensibilisiert werden.
Man hört häufig das Argument, dass besonders hochemotionale Erlebnisse nicht „vergessen“ werden könnten, weswegen es auch keine „wiedergewonnenen Erinnerungen“ gäbe. Nun, auf das Prinzip der Dissoziativen Amnesie werden wir laufend (sowohl aus fachlicher Sicht als auch aus persönlicher Erfahrung) ausführlich eingehen.
An dieser Stelle soll ein einfaches Beispiel genügen: Aktuell ist Taylor Swift auf Tour und es gibt viele Fans, die nach dem Konzert Erinnerungslücken beklagen. Diese können sich nur auf Details beziehen, aber auch bis hin zu ganzen Liedern reichen. Man nennt es „Post-Konzert-Amnesie“.
Eine Betroffene erzählt, dass ihr Konzerterlebnis wie eine außerkörperliche Erfahrung war.
In mehreren Online-Artikeln wird darüber berichtet und das Phänomen erklärt.[12],[13]
Der positive Stress sei in der Intensität vergleichbar mit traumatischen Erfahrungen. Man wechselt in das „heiße Gedächtnis“, die mentalen Verarbeitungskapazitäten werden überschritten, es kommt zu Gedächtnislücken. Daniel Scholz, Professor für Musizierendengesundheit an der Hochschule in Lübeck, ist auch Neurowissenschaftler, Diplom-Psychologe und Verhaltenstherapeut. Er macht deutlich, dass man die Erinnerungen zurückholen kann, wenn man sich mit anderen über das Konzert unterhält oder Videos vom Konzert schaut.
Ich finde es spannend, weil hier ein sehr ähnliches Konzept wie bei der Dissoziativen Amnesie vorliegt. Und obwohl es einen wissenschaftlichen Konsens dazu gibt, dass extreme Erlebnisse zu fragmentierten Erinnerungen führen, weist FMD weit von sich, dass es Erinnerungslücken und Wiedererinnerung gibt.
Nur da, wo es nicht um sexualisierte Gewalt geht, wird es nicht bekämpft.
Es kommt niemand daher und wirft den Konzertbesucher:innen vor, sie seien nie auf dem Konzert gewesen und hätten sich die fragmentarischen Erinnerungen daran nur durch das Schauen von Konzertvideos suggeriert. Niemand wirft ihnen vor, dass die später wieder wachgerufene Erinnerung an das Konzert oder den einen Song, der zuvor in der Amnesie verschollen war, eine falsche Erinnerung sei. So, wie man es bei uns tut, wenn wir sagen, dass wir Erinnerungen durch gewisse Auslöser und das Reden darüber innerhalb der Therapie oder mit anderen Betroffenen wieder „zurückholen“ konnten.
Was bei der „Post-Konzert-Amnesie“ ein vollkommen normalisiertes Konzept ist, wendet man auf schwer Traumatisierte nicht an. Die müssen sich von Anfang an und jederzeit exakt erinnern. Sie dürfen nichts amnesiert haben, sie können und dürfen keine Erinnerungen zurückholen.
Darüber hinaus möchte ich bereits jetzt deutlich machen, dass es mit der Gedächtnis- und Suggestionsforschung, mit der die FMD argumentiert, zwei Vergleichbarkeitsprobleme gibt:
Die von FMD und Co. genannten Studien sind an gesunden und untraumatisierten Menschen durchgeführt worden. Damit sind sie, ich sage es in aller Deutlichkeit: NICHT vergleichbar mit Studienergebnissen mit Proband:innen, die unter Traumafolgen leiden.
Um einen Vergleich zu bemühen: Sonst könnten wir auch Krebsmedikamente an Gesunden testen und sagen: „Toll, wirkt ja, kein Krebs da.“
Es gibt Gedächtnisstudien mit traumatisierten Menschen. Mittlerweile sogar mit bildgebenden Verfahren. Diese Forschung betrachten die Skeptiker aber nicht als valide und schon gar nicht als „seriös“, weil die Ergebnisse ihren vorgefassten Schlussfolgerungen widersprechen.
Das zweite Vergleichbarkeitsproblem ist, dass es innerhalb einer Therapie absolut nicht üblich ist, dieselben Methoden wie in den Suggestionsstudien anzuwenden.
Denn in welcher Therapie werden zum Beispiel gefälschte Beweise (Bilder) für ein Ereignis vorgelegt und zusammen mit nahestehenden Angehörigen darauf beharrt, die Klient:innen hätten das erlebt?
Wenn so etwas in einer Therapie passiert, wäre das in der Tat eine Fehlbehandlung.
Die Schwächen in der FM-Argumentation werden überspielt mit dem sogenannten Wahrheitseffekt:
Je öfter Menschen etwas gehört haben, desto höher schätzen sie den Wahrheitsgehalt ein.
Deswegen wiederholen die False Memorianer gebetsmühlenartig ihre Theorie der falschen Erinnerungen, die eigentlich keine Evidenz hat, außer der, dass Gedächtnisse selbstverständlich nicht perfekt sind.
Frau Heide-Marie Cammans war 2012 Mitbegründerin von False Memory Deutschland und gehört noch heute zum Vorstand.
1984 gründete und leitete sie aber zuerst einmal die Beratungsstelle “Sekten-Info Essen”.
Dort arbeitete sie bis 2003 unter anderem auch mit Betroffenen von ritueller Gewalt und (satanistischen) Sekten und Gruppierungen.
Das ändert sich scheinbar zu dem Zeitpunkt, an dem sie eine Zusammenarbeit mit dem Verein „Schulterschluss” eingeht. Dieser Verein stellt einen Arbeitskreis für falsche Erinnerungen dar.
Im Gegensatz zu früher glaubt sie seither offenbar nicht mehr an die Existenz von ritueller Gewalt und glaubt den Betroffenen nicht mehr. Plötzlich sind auch Missbrauchserinnerungen „False Memories”. Dies halte ich persönlich für eine spannende Kehrtwende.[14]
Seit dieser steht sie mit ihren Kolleg:innen lieber für - nach eigenen Angaben - zu Unrecht des Missbrauchs Beschuldigte ein.
2023 sagt sie in einem Spiegel-Artikel, sie kenne bereits über 600 Fälle, in denen induzierte Erinnerungen eine Rolle gespielt haben.[15]
Sie ist der festen Überzeugung, sie könne gut beurteilen, ob ein mutmaßlicher Täter die Wahrheit sagt oder nicht. Das ist für eine Verwaltungsfachangestellte eine erstaunliche Leistung. Ja, sie hat eine Ausbildung zur Referentin in der Ehe- und Familienpastoral absolviert und jahrzehntelange Erfahrung in der Beratung. Aber das macht sie weder zu einer Medizinerin noch zu einer Psychotherapeutin. Geschweige denn zur Traumaexpertin oder Polizistin.
Trotzdem scheint sich Frau Cammans selbst mehr zuzutrauen als durchschnittliche Beamt:innen der Kriminalpolizei, die sich nicht allein auf ihr „Gefühl“ verlassen, ob jemand potenziell schuldig ist - sondern ermitteln müssen.
Betroffene wie wir sollen unzählige Beweise vorlegen, dass die Taten tatsächlich stattgefunden haben, aber ein mutmaßlicher Täter sagt einfach: „Ich war's nicht” und alle Welt scheint zu sagen „Ok, ich glaube dir.”
Nun ja. Von den Fähigkeiten und der Arbeitsweise von Frau Cammans erfährt man zur Genüge in der EZW-Broschüre [16], die 2020 für einige Zeit in den evangelischen Kirchen auslag.
Also nur zwei Jahre nach dem Aufbrechen der Missbrauchsskandale in der evangelischen Kirche. Herausgeber war der Theologe und Experte für Mission Kai Funkschmidt im Auftrag der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen. Er ist auch heute noch ganz vorne mit dabei, wenn es darum geht, die Fehlinformationen der False Memory-Bewegung und Skeptiker „an den Mann zu bringen“.
Die Verbreitung der EZW-Broschüre wurde wegen kritischer Reaktionen von der Kirche gestoppt.
Einen der verfügbaren Restposten habe ich hier vorliegen.
Frau Cammans schildert in der Broschüre, wie sie heute mit Menschen arbeitet, die - nach eigenen Angaben - fälschlicherweise (zumeist von ihren eigenen Kindern) des Missbrauchs beschuldigt werden und Unterstützung suchen. „Echte Täter” weise sie ab, erklärt sie.
In der EZW-Broschüre schreibt sie, dass sie es zumeist mit sehr erfolgreichen Männern zu tun habe, die es in ihrem Leben schon zu was gebracht hätten. Sie kämen immer sehr verzweifelt. Nicht nur angesichts der Anschuldigungen gegen sie, sondern auch darüber, dass ihr Kind in einer falschen Wirklichkeit lebe und die Familie nun zerstört sei. Die Verzweiflung der Eltern spreche eine deutliche Sprache, das mache sie glaubwürdig.
Betroffene von sexualisierter Gewalt werden von ihr als die Schuldigen dargestellt, die mittels falscher Anschuldigungen und Kontaktabbrüche die Familie zerstört haben.[17]
Während Frau Cammans überall Suggestionstherapie-Gespenster sieht, kann sie ihre Beratungen nicht frei von Suggestionen halten. Zumindest bekomme ich diesen Eindruck angesichts der EZW-Broschüre, in der sie die Fragen auflistet, die sie den Männern/ Eltern stellt, die sexueller Gewalt beschuldigt werden. Jede dieser Fragen zielt gegen die Validität der Erinnerung der Betroffenen:
Ist die Erinnerung erst im Erwachsenenalter entstanden? Gibt es Hinweise, dass die traumatischen Erinnerungen mit Hilfe von therapeutischer Unterstützung entstanden sind? Werden bizarre Erlebnisse (okkulte Rituale) berichtet? Gibt es Hinweise auf Literatur, die bei der Entstehung der Erinnerungen beteiligt war?
Gibt es Hinweise darauf, dass die beschuldigende Person in einer „Überlebendengruppe” ist und durch gemeinsames Erinnern Inhalte der Gruppe übernommen worden sein könnten, zum Beispiel bei Aufenthalten in psychiatrischen Kliniken?
Meiner Meinung nach ist das eine wunderbare Anleitung, wie man als Beschuldigter aus der Nummer wieder herauskommt. Deutungen werden angereicht. Und welcher wahrhaftige Täter würde diese Erklärungen nicht direkt dankbar annehmen?
Wenn ein solcher also die Fragen von Frau Cammans bejaht, sieht sie nicht nur ihre eigene Vorannahme als bestätigt an, sondern malt einen weiteren Strich auf ihre Liste mit den bedauerlichen Opfern von Fehltherapien, Suggestionen und Co. Ab diesem Moment hat sie selbstverständlich einen absolut unschuldigen Menschen vor sich sitzen.
So kommt man natürlich auf eine unfassbar große Zahl von „falschen Opfern”.
Und inhaltlich bedeutet das:
Es wird bereits nahegelegt, dass die Erinnerungen im Erwachsenenalter entstanden seien, nicht etwa, als es passiert ist. Nein.
Hat man als erwachsene Frau je ein Buch im Regal gehabt, in dem sexuelle Gewalt vorkommt: Vergeigt!
Hat man je einen Film gesehen, in dem häusliche oder sexuelle Gewalt vorkommen: Vergeigt!
Hat man je einen Gruselfilm gesehen. Vergeigt!
Und weil man in der heutigen Zeit eigentlich gar keine Chance hat, nicht mit Gewaltdarstellungen konfrontiert zu werden, diese sogar in den Nachrichten vorkommen, gibt es IMMER die Möglichkeit, Betroffenen zu unterstellen, sie hätten das nur daher.
Es bedeutet auch, dass jede Art von Therapie zum Schüren von Zweifeln gegen die psychisch erkrankten Menschen benutzt wird.
Hat das Opfer also bereits wegen seines Leidensdruckes eine Psychotherapie begonnen, oder war gar bereits in einer Psychiatrie, ist der Fall für die Skeptiker und False Memorianer leicht vom Tisch gewischt: alles suggeriert.
Reden Betroffene zum ersten Mal innerhalb einer Therapie über die erlebte Gewalt, wird behauptet, die „Idee“ sei auf dem Mist der Therapeut:innen gewachsen, die ein Trauma als Erklärung konstruieren.
Die Vorstellung der FMD, dass man sich in einer psychiatrischen Klinik oder Gruppentherapie gegenseitig einen Missbrauch einredet, oder dass derartige Erinnerungen gar infektiös seien, reproduziert lediglich ein typisches „Klapsen-Klischee“[18].
Evidenz dazu gibt es nicht. Mir sind nicht einmal Therapien bekannt, in denen man in der Gruppe (im Detail) über traumatische Erfahrungen spricht.
Unschuldig gefragt: Aber warum musste man überhaupt in Therapie gehen?
Das erklären sich False Memorianer so:
Falsche Erinnerungen entstünden vor allem dann, wenn man „nach einer Erklärung für kleine Lebensunzufriedenheiten“ sucht, so Heide-Marie Cammans in einem Radiointerview:[19]
Solche Erinnerungen, vermeintliche Erinnerungen an sexuellen Missbrauch in der Kindheit entstehen dann, wenn jemand aufgrund einer kleinen Lebensunzufriedenheit, meint, er müsse den Grund dafür finden.[…]
Das heißt dann: Ja, Vater, du hast mich zwölf Jahre lang täglich missbraucht, bis zum 18.Lebensjahr.
Solche Aussagen. Da ist keine Substanz, da ist nichts, was geprüft werden kann. Es findet sich nichts. Es sind nur die in den Therapien entstandenen Erinnerungen, die manchmal sehr vage bleiben.
Ihr werdet im weiteren Verlauf des Buches selbst darüber urteilen können, ob das, was wir täglich an Symptomen erleiden, als „kleine Lebensunzufriedenheiten“ durchgeht oder nicht.
Würde man das Argument der Erklärungssuche auf dieselbe invalidierende Art für alle anderen Erkrankungen nutzen, könnte man auch bei einer Krebs-Diagnose sagen, dass man nur nach einer Erklärung für Symptome wie Gewichtsabnahme und Erschöpfung gesucht habe. Oder bei einem Beinbruch nach dem Grund für die Schmerzen und die Unfähigkeit zu gehen.
Kleine Lebensunzufriedenheiten eben. /sarkastisch
Korrekte Diagnosen sind wichtig, wenn man eine Erkrankung behandeln möchte. Eine Diagnose kann eine Erleichterung für die Patient:innen sein, die a) endlich wissen, was mit ihnen los ist und b) nun endlich adäquate Behandlung bekommen können, die auch tatsächlich zu Verbesserungen führt.
Klar, man kann an den Komorbititäten herumdoktern, die es meistens gratis zum Trauma dazu gibt. Depressionen, Angststörungen, Essstörungen… aber wenn man nicht die ursächliche Erkrankung behandelt, ist alles für die Katz.
Darüber hinaus halte nicht nur ich, sondern auch Experten die Darstellung, dass Erinnerungen in der Therapie verzerrt oder suggeriert würden, für unhaltbar im Bezug auf die Versorgungssituation.
Denn gerade wenn es um Glaubhaftigkeit vor Gericht geht, heißt es nicht selten, dass die vorherige oder gleichzeitige Aufnahme einer Therapie zu vermeiden ist. Das kritisiert auch der Kinderschutzexperte Jörg Fegert in seiner Studie:[20]
Besondere Brisanz erfährt diese Überlegung, wenn man z.B. den Fall in Lügde betrachtet (…) Hier versuchte die Polizei wegen der Grenzen der Methodik der Glaubhaftigkeitsbegutachtung die Sorgeberechtigten dahingehend zu beeinflussen, dass diese trotz belastender Symptomatik ihrer Kinder keine Beratung oder Behandlung aufsuchen sollten, damit durch solche Interventionen die Aussage der Kinder nicht verfälscht werde. Dies ist ein praktisches Beispiel dafür, wie die rechtliche Stellung von Geschädigten/Opfer(-zeug*innen) infolge des „Nullhypothesen“-Ansatzes auch in Bezug auf die therapeutische Behandlung in den Hintergrund geraten ist. Noch bis vor kurzem war es üblich, dass die Polizei Betroffenen von Straftaten prinzipiell geraten hat, trotz belastender Symptomatik auf eine Psychotherapie zu verzichten, damit die Aussage durch die Krankenbehandlung nicht verfälscht wird.
Auch die Annahme, dass Literatur und Aufklärung zum Thema Missbrauch zur Selbstsuggestion eines eben solchen beitragen soll, halte ich für sehr bedenklich.
Es ist hervorzuheben, dass beides, gerade bei Kindern, nachweislich einen präventiven Charakter hat.
Ich zitiere:[21]
Generell scheint bei Kindern nach Präventionsangeboten, die sexuellen Missbrauch thematisieren, das Verständnis und auch die selbst wahrgenommene Handlungssicherheit zu wachsen. Dies wird von den befragten Kindern insgesamt positiv bewertet und erlebt.
Statt also Prävention zu unterstützen und den Opferschutz wirklich voranzutreiben, verbreiten die False Memorianer Gerüchte über sogenannte suggestive „Trauma-Erinnerungstherapien” [22], und behaupten, dass jeder Mensch, der/die von sexueller Gewalt gehört hat, plötzlich glauben könne, selbst davon betroffen zu sein.
Die FMD und die Skeptiker blockieren also wahrhaftige Prävention und kehren das Vorhandensein von Informationen, Therapie, Selbsthilfe und Austausch zuungunsten der Opfer um.
Seltsam. Wo sie doch in großen roten Buchstaben auf ihrer Webpräsenz schreiben:
„False Memory Deutschland unterstützt alle Maßnahmen gegen sexuellen Missbrauch und schützt in keinem Falle Straftäter!”
Dabei stellt sich aber eine sehr diffizile Frage: Wie definieren sie „Straftäter“?
Schon unter den Gründungsvätern der FMSF waren Menschen, die unsere strafrechliche (und moralische) Bewertung von Pädo- und Hebephilie in Frage stellen und Sex mit Kindern als eine verantwortungsvolle Wahl darstellen.
Etwas Ähnliches äußert auch Hans Delfs im Kapitel „Gesellschaftliche und kulturelle Fragen“ seines Buches. Dort ist zu lesen, dass er die Frage nach dem Schutzalter als kulturell konstruiert ansehe. Schließlich sei Geschlechtsverkehr ab dem Zeitpunkt der Pubertät von der Natur vorgesehen und anderswo gäbe es schließlich auch Kinderehen. [23]
Ich denke bei der Behauptung von Autosuggestion durch Bücher und Angebote unwillkürlich daran, wie sehr diese Behauptung den „Argumenten“ ähnelt, die rechtsextreme und/oder reaktionäre politische Strömungen gegen marginalisierte Gruppierungen anwenden.
Und das ist möglicherweise kein Zufall, wie wir gleich aufzeigen können.
Bei solchen typischen aufhetzenden und polemischen Behauptungen geht es typischerweise darum, dass frühe Aufklärung von Kindern, selbst wenn diese altersgerecht vermittelt wird, diese sexualisiere (statt präventiv zu wirken). Oder, dass die Sichtbarkeit von queeren Menschen (in Büchern und im realen Leben) die Kinder dahingehend beeinflusse, zu glauben, dass sie selbst lesbisch, schwul oder trans seien.
Gleichzeitig können sich aber viele Menschen kaum verkneifen, ein Kindergartenkind zu fragen: „Naaaa ist das dein/e Freund/in?“ Oder zu sagen: „Oh, der Bub ist ja hübsch, der wird mal ein Weiberheld.“ *zwinki zwonki
Und finden nichts falsch oder gar sexualisierend daran.
Das heißt für mich: genauso, wie rechte/reaktionäre Strömungen Kinderschutz vorschieben, um auf „Kundenfang” zu gehen, wird hier auch „Opferschutz” instrumentalisiert, um sich als die „Guten” hinzustellen.
Übrigens: Kinderschutz bedeutet für nach rechts ausgerichtete Menschen auch nur den Schutz von weißen, gesunden, und vor allem privilegierten Cis-Kindern. Sie bestimmen über den Wert eines Menschenlebens, ganz so, wie es unsere TäterInnen auch taten. Es widert mich an.
Man findet dasselbe Vorgehen auch im Diskurs um die Klimakrise. Der menschengemachte Klimawandel wird trotz jahrezehntelanger valider Forschung einfach geleugnet. Es werden Feindbilder erschaffen, Verschwörungsnarrative gebaut und Scheinexperten zurate gezogen. Es heißt dann, hinter Klimaschutzbestrebungen stünden nur Firmen, Politiker und Forscher, die der Gesellschaft das Geld aus der Tasche ziehen, diese mit Angst steuern und in ihrer persönlichen Freiheit einschränken wollen.
Klimaaktivisten werden kurzerhand kriminalisiert und als gefährliche Terroristen geframed, so, wie wir als Verschwörungstheoretiker:innen bezeichnet werden.
In meinem Kopfkino entsteht dabei das (sehr klischeehafte) Bild eines Mannes auf einer Couch, mit dem Bier in der Hand, der während jeder Fußballweltmeisterschaft zum besseren Bundestrainer mutiert.
So. Jetzt kommen wir mal auf die Mitglieder der GWUP zu sprechen, die Aktionismus gegen die angebliche „Satanic Panic“ betreiben.
Da wäre zuerst mal Bernd Harder zu nennen, der von Beruf Journalist und Autor populärwissenschaftlicher Literatur ist. Er tut sich auf dem offiziellen Blog der GWUP regelmäßig mit diskreditierenden Beiträgen über Betroffene und mit Fehlinformationen über die DIS und das angebliche Verschwörungsnarrativ hervor.
Zur populärwissenschaftlichen Literatur lässt sich sagen:[24]
Für viele WissenschaftlerInnen ist der Begriff Populärwissenschaft ein Schimpfwort. Zu Recht. Wer sich durch Studium und eigene Forschung in einem bestimmten Feld auskennt und sich dann „Experten“-Interviews, Magazin-Artikel oder TV-Sendungen zum Thema ansieht, wird sich in 90 % der Fälle nach einigen Minuten enttäuscht oder gar wütend abwenden. Das liegt daran, dass Populärwissenschaft heute eben nicht mehr die Vermittlung und Verbreitung von Wissenschaft oder wissenschaftlichen Erkenntnissen meint, sondern ein eigenes, gesondertes Feld darstellt. Ein echter Populärwissenschaftler/eine echte Populärwissenschaftlerin ist in erster Linie populär und erst in zweiter oder gar dritter Linie WissenschaftlerIn. Die Kompetenz liegt vor allem darin, Wissen öffentlichkeitswirksam, TV-gerecht oder Radio-konform aufzubereiten – er oder sie hat häufig aber kaum eigene Sachkompetenz.
Da sich das „W“ in dem Namen der GWUP auf „Wissenschaft“ bezieht, möchte ich besonders hervorheben, dass ihre Mitglieder die aktuelle Traumaforschung entweder nicht zur Kenntnis nehmen, ihrem Publikum vorenthalten oder verdreht und aus dem Zusammenhang gerissen darstellen.
Zur weiteren Information möchte ich auch über ein paar aktuelle Entwicklungen innerhalb der GWUP sprechen.
Der GWUP-Mitbegründer Amardeo Sarma schreibt auf X: „Die GWUP ist nicht mehr die rationale, wissenschaftliche Organisation, die viele von uns gegründet haben.“
Darüber hinaus äußerten sich gleich zwei prominente GWUP-Mitglieder ebenfalls kritisch in einem Artikel in der SZ:[25]
Der Physiker Florian Aigner berichtete darin, dass es innerhalb der GWUP Bestrebungen gäbe, sich gegen „Wokeness“ zu positionieren, und befürchtet ein Abdriften in die Richtung der Alt-Right-Bewegung.[26]
Der Physiker Holm Hümmler sagt: „Der Gesamteindruck nach Außen entsteht, dass die GWUP beginnt, sich grundsätzlich gegen Diversität, Inklusion und Rücksichtnahme auf Minderheiten zu richten.“
Parallel dazu möchte die GWUP gerne aus der Öffentlichkeit heraushalten, dass einige Mitglieder nach der Wahl des neuen Vorstandes für den Verein von Putsch-Versuchen sprechen.
Somit können wir festhalten, dass weder der Standpunkt der False Memory noch der Skeptiker der GWUP und deren Vorgehensweisen tatsächlich als wissenschaftlich, neutral und objektiv zu bezeichnen sind.
Stattdessen sind sie in ihrem Vorgehen im höchsten Maße polemisch und tarnen das mit Ironie, Sarkasmus und Satire. Sie machen Opfer und Ihre Helfernetzwerke zum Gespött der Leute. [27]
Darüber hinaus setzen sie alle Methoden, die als Desinformationsstrategien bekannt sind, ein:
Das wären zum einen Strohmann-Argumente und Logikfehler. Dabei handelt es sich um einen rhetorischen Trick, bei dem ein Argument verkürzt, überhöht oder einfach falsch wiedergegeben oder gar ad absurdum geführt wird. Dadurch wird der Diskurs verzerrt und verschoben.
Statt über schwere sexualisierte Gewalt diskutieren wir dann zum Beispiel plötzlich darüber, ob es möglich ist, dass sich die Augenfarben von DIS-Betroffenen verändern können.[28]
Sie setzen Logikfehler bewusst ein, um ihre schwachen Argumente zu stärken und/oder um Gegner:innen zu diskreditieren.
Zum Beispiel schließen sie vom Vorkommen einzelner Fehltherapien auf unseriöses Arbeiten aller Traumatherapeut:innen, die von ritueller Gewalt sprechen.
Auch das sogenannte Cherry-Picking kommt zum Einsatz. Hierbei werden selektiv Daten oder Fakten ausgewählt, die ihre Position unterstützen, während gleichzeitig Informationen, die dem widersprechen, ignoriert oder minimiert werden. Am Ende weichen sie auf Ad-hominem-Argumente aus. Diese Technik kann dazu beitragen, eine verzerrte oder irreführende Darstellung einer Situation oder eines Sachverhalts zu fördern.
Mit einer Selbstverständlichkeit, als hätten sie jedes Recht dazu, stellen sie unerfüllbare Erwartungen an die Wissenschaftler, Helfernetzwerke und sogar an die Betroffenen selbst.
Es wirkt auf den ersten Blick wie berechtigte Kritik - ist aber eine Argumentationsstrategie, um die Reputation, Expertise, sowie die Ausbildungszentren, die persönliche Glaubwürdigkeit und Integrität der Wissenschaftler anzugreifen.
Also jene, die wahrhaftig Ahnung und eine entsprechende Qualifikation haben.
Warum aber haben Gruppierungen wie die FMD und GWUP trotz ihrer argumentativen und fachlichen Schwächen einen so großen Einfluss auf die öffentliche Meinung?
Das Erbe der FMSF lebt vor allem deswegen im gesellschaftlichen Bewusstsein weiter, weil die Behauptungen noch immer, auch in Deutschland, von Laien unhinterfragt in den Medien reproduziert werden. Ohne den Einsatz der Medien hätte schon damals die FMSF niemals so viel Einfluss auf die öffentliche Meinung bekommen.
Immer wieder wird behauptet, dass es sich (finanziell) lohne, ein Opfer zu sein. Vor allem dann, wenn man sich als Betroffene:r der Öffentlichkeit zeigt.
Wer aber tatsächlich finanziell profitiert, sind die Medien und Verlage, die lieber Absatz mit reißerischen Schlagzeilen machen, als sich gewissenhaft mit dem komplexen Thema der sexuellen Gewalt und der Traumafolgen auseinanderzusetzen.
Zu bagatellisieren und zu polemisieren geht einfacher, schneller und verkauft sich auch besser.
Die Journalist:innen scheinen sich ihrer Verantwortung und der Auswirkungen derartiger Berichterstattung auf Betroffene leider nicht bewusst zu sein.
Ein Beispiel, wie gute Berichterstattung aussehen kann, ist meiner Meinung nach der Artikel im The Boston Globe von Janell Nanos, aus dem Juli 2022. Nanos hat für den Artikel mit dem Titel: „Kate Price Remembers Something Terrible“zehn Jahre recherchiert und auch einen Online Journalism Award erhalten.
Ebenfalls möchte ich auf eine YouTube-Dokumentation aufmerksam machen.[29]
Mary Knight macht sich darin auf die Suche nach Antworten und stellt ihre Erinnerungen infrage. Zu Wort kommen sowohl Professor van der Kolk als auch Elizabeth Loftus und Eleanor Goldstein.
Während Bessel van der Kolk fachlich versiert und empathisch über Traumata und deren mögliche Auswirkungen spricht, ergehen sich die Damen der „Gegenseite” lediglich in Fragen à la „Wie können sie sich sicher sein, dass Ihre Erinnerungen stimmen?”
Auch hier kann man wieder einen deutlichen Kompetenzunterschied sehen.
Frau Goldstein, die Autorin des Buches „Confabulations”[30], weiß zunächst nichts mit dem Begriff „inzestuöse Berührungen“ anzufangen und ist der Auffassung, dass - wenn so etwas vorkomme - man halt auch mal „vergeben können” müsse. Das Kind sei eben dafür verantwortlich, den „Onkel” abzuweisen, wenn er es „befummelt”. Frau Goldstein hat Betriebswirtschaftslehre studiert und jahrelang als Lehrerin gearbeitet.
Aber sie ist eine gute Freundin von Frau Loftus und Pamela Freyd, der Gründerin der FMSF und fühlt sich daher offenbar befähigt, über die Erinnerungen von Opfern zu urteilen. Ganz besonders auch über die ihrer eigenen Tochter, die Anschuldigungen sexualisierter Gewalt gegen ihren Vater erhebt.
Frau Loftus spricht darüber, dass sie selbst Missbrauchserinnerungen hat, die mit Schwangerschaftsängsten einhergingen, und leugnet dennoch, sozusagen im gleichen Atemzug, die schlimmen Auswirkungen, die derartige Traumata haben können.
Eine weitere Strategie der FMD und der Skeptiker zugunsten der Erhöhung der eigenen Glaubwürdigkeit besteht darin, Scheinexpert:innen zurate zu ziehen und zu zitieren.
Dabei handelt es sich um angebliche Expert:innen, deren Informationen über die DIS nicht mehr dem aktuellen Wissensstand entsprechen - und auch nicht dem, was umgangssprachlich „wissenschaftlicher Konsens“ genannt wird.
Unter anderem behaupten sie nach wie vor, dass die DIS als umstritten gelte.
Zu diesen Scheinexpertinnen gehört die fast schon als prominent zu bezeichnende Diplom-Psychologin Lydia Benecke, die nach eigenen Angaben Straftäter therapiert, was ohne Approbation eher eine Seltenheit darstellt.
In ihrem populärwissenschaftlichen Skepkon-Beitrag von 2018 sagt sie „Die DIS gibt es schon, scheinbar. Um genau zu sein, wird das noch erforscht.“ [31]
Ja, Frau Benecke, schon seit vielen Jahrzehnten wurde das erforscht!
Sie leugnet in ihrem Vortrag, live auf der Bühne, dass man einen Menschen wie einen Pawlowschen Hund konditionieren könne, beschreibt aber genau das in ihrer Diplomarbeit im Zusammenhang mit BDSM.[32]
Dann gibt es da noch Prof. Dr. Röpke, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. In einem SWR2 Interview, in dem ausgiebig über Scheinerinnerungen, psychopathologische Symptome und suggestive Therapien gesprochen wird, sagt er sinngemäß:
Ich habe innerhalb meiner 20 Dienstjahre noch nie jemanden mit einer DIS behandelt.
Es ließen sich immer bessere Erklärungen für die Symptome der Patient:innen finden als eine DIS. Selbst wenn sie von Kollegen vordiagnostiziert war, konnte ich die Diagnose nicht bestätigen. Insofern spreche ich über ein Thema, das ich gar nicht kenne. [33]
Dass auf seinem Namensschild der Schriftzug der Charité Berlin prangt, und er Leiter des dortigen Forschungsbereichs Traumafolgestörungen ist, gibt dem Ganzen eine besondere Note und soll vermutlich maximale Kompetenz aufzeigen.
Meiner bescheidenen Meinung nach kokettiert Prof. Dr. Röpke geradezu mit seiner Außenseiterposition, die den heutigen Forschungsstand ignoriert. Er suggeriert, dass er besser Bescheid wisse und ein besserer Diagnostiker sei als alle anderen Kolleg:innen.
Welche Diagnosen oder „Erklärungen“ er stattdessen passender findet, bleibt er uns in diesem Interview schuldig.
Ich halte es für wichtig, dass wir darüber nachdenken, ob nicht auch auf diese Art Fehldiagnostik und Fehltherapien aufgrund der Voreingenommenheit oder Unwissenheit von Psychiater:innen stattfinden können.
Heutzutage kann man eine DIS sogar im MRT nachweisen.[34]
Aber es gibt weitere von FMD und Skeptikern zitierte Experten, wie Herrn Dr. Urbaniok, der selbst bei diesem Thema versucht, Zweifel zu streuen.
Dr. Urbaniok ist ein deutsch-schweizerischer Psychiater, dessen Arbeitsschwerpunkt auf Sexual- und Gewaltstraftaten liegt. Er gilt als „Hardliner“, wenn es darum geht, Sicherheitsverwahrung für Täter:innen anzuordnen. Aber mit den Traumafolgestörungen hat er es nicht so.
In einem Interview, bei dem er sich in bester Gesellschaft der GWUP-Skeptiker befindet, geht er so weit, zu sagen:
Vor zwei Jahren habe ich gesagt: Das [die DIS] gibt’s. In seltenen Fällen wird es das geben. Und jetzt bin ich zwei Jahre weiter und ich muss sagen, meine Skepsis ist erheblich gewachsen, ob es diese Diagnose überhaupt gibt.[…]
Aber ob es tatsächlich strukturell abgespaltene Persönlichkeiten gibt, da mach ich ein großes Fragezeichen dran. Ich weiß, es gibt Kollegen, die sagen, das gibt es, wir haben im MRI, im PET, Sachen nachgewiesen. Aber wo wir uns alle, die seriösen Wissenschaftler, einig sind, wenn es das überhaupt gibt, ich mach jetzt das kleine Fragezeichen dran, wenn’s das überhaupt gibt, dann ist es extrem selten. [35]
Auf die Forschungsergebnisse, die hinter den bildgebenden Verfahren stehen, und die Prävalenz der DIS kommen wir später zu sprechen.[36] Sonst wird diese Einleitung einfach zu lang.
Aber auch das von Dr. Urbaniok Gesagte ist eine irreführende Aussage, die nicht über eine Meinung hinaus haltbar ist. Denn seit wann genau sind bildgebende Verfahren unseriös?
Die Auswirkungen solcher und anderer medialer Fehldarstellungen, und die damit einhergehende Verstärkung der Stigmatisierung von Betroffenen, sind dramatisch.
Wie sehr die Betroffenen darunter leiden und wie groß die Barrieren in und für die psychiatrische und therapeutische Behandlung sind, haben zwei aktuelle Studien mit internationalen Teilnehmern gerade aufgedeckt.
Die eine Studie[37] stellt fest, dass ein Großteil des Stigmas, das wir DIS-Betroffene mit uns herumtragen müssen, auf die mediale Darstellung der DIS zurückgeht und es zusätzlich an evidenzbasierter Ausbildung fehlt.
Diese Studie bezieht sich insbesondere auf Hollywoodfilme (in denen Menschen mit einer DIS zumeist als Mörder, Gewalttäter und Monster dargestellt werden). Die Ergebnisse lassen sich aber ebenso - und vielleicht sogar mit noch stärkeren Auswirkungen - auf die Medienschlachten der False Memory und Skeptiker übertragen. Denn wenn reale Psychiater:innen behaupten, dass es die DIS und die Gewalt, die wir erleben mussten, gar nicht gäbe, hat das noch einmal eine andere Qualität als ein Hollywoodfilm.
129 von 377 DIS-Klient:innen berichteten in dieser Studie über negative Auswirkungen auf die Behandlung und auch auf die Selbstwahrnehmung aufgrund dieser Stigmatisierung.
Einige von ihnen berichteten von direkten Vorwürfen durch die Behandler:innen, dass sie lügen würden, die DIS sei schließlich extrem selten. Die Behandler:innen erwarteten fälschlicherweise sich dramatisch präsentierende Persönlichkeitswechsel.
Viele der Teilnehmer:innen berichteten aus Angst vor Unglauben oder Fehlbehandlung nicht von ihrer DIS oder ihren Symptomen.
Mehrere Teilnehmer:innen berichteten von Vernachlässigung, Demütigung, Ausbeutung und Voyeurismus durch Kliniker. Sie wurden manipuliert und verspottet, teils körperlicher oder verbaler Gewalt ausgesetzt.
Ich zitiere:
Stigmatisierende Darstellungen von DIS in den Medien müssen angegangen werden. Um die Mythen über DIS zu bekämpfen, sind genaue Darstellungen von DIS in den Medien erforderlich. Zu diesem Zweck sollten Menschen mit eigener Erfahrung mit DIS und Experten mit DIS-Ausbildung konsultiert werden.
Zu den Scheinexpert:innen gehören auch immer wieder die Rechtspsycholog:innen, die ohnehin ein komplett anderes Verständnis von Traumata, Traumafolgestörungen und den dahinterliegenden Straftaten haben als klinisch arbeitende Therapeut:innen.
Sie halten es anscheinend für ein Muss, dass Therapeut:innen sich auch gleichzeitig als Ermittler:innen und Jurist:innen hervortun, bevor sie ihre Behandlung starten.
(Dieses Thema werden wir mehrfach im Verlauf dieses Buches ansprechen.)
Schuld daran ist die sogenannte Nullhypothese, die grundsätzlich besagt, dass das, was ein Opfer berichtet, unwahr ist und erst noch bewiesen werden muss.[38]
Lasst uns an diesem Punkt bitte auch festhalten, dass - über vierzig Jahre nach Anerkennung der DIS-Diagnose - das Thema in keiner medizinischen Ausbildung vertiefend und mit mehr als metaphorischen drei Worten, behandelt wird. Ich kenne mehrere Psychologiestudent:innen, die sagen, dass man schon von Glück reden kann, wenn in diesen paar Sätzen, in denen die DIS angeschnitten wird, nicht auch noch Fehlinformationen stecken.
So kann es natürlich dazu kommen, dass auch Traumaexpert:innen die Existenz struktureller Dissoziation infrage stellen, obwohl diese von ihren Kolleg:innen längst belegt werden konnte.
Das akademische Bildungssystem hinkt weit, weit hinterher und das ist die eigentliche Tragödie.
Außerdem ist es schier unmöglich, sich in allen Bereichen der klinischen Psychologie gleichermaßen gut auszukennen, da der Umfang enorm ist.
Ein Augenarzt kennt sich auch nicht mit Gynäkologie aus. Dafür gibt es ja Fachärzt:innen und Spezialisierungen.
Es wäre in meinen Augen keine Schande, das auch einzugestehen.
Diese Lücke in der Ausbildung bedeutet, dass man für die DIS aus eigenem Antrieb ein Spezialinteresse entwickeln und sich selbstständig fortbilden muss, um als Psychiater:in oder Psychotherapeut:in nicht mangels entsprechenden Wissens Fehldiagnosen zu stellen und damit Patient:innen zu schaden, beziehungsweise ohne korrekte Diagnose nicht helfen zu können.
Wenn Psychiater:innen jedoch absichtlich oder unabsichtlich Positionen vertreten, die nicht dem aktuellen Stand der Traumaforschung entsprechen, können sie auch leicht als Scheinexpert:innen instrumentalisiert werden.
Fortbildungen für approbierte Psychiater:innen (oder generell Ärzt:innen) sind bedauerlicherweise zumeist nicht verpflichtend oder decken nicht automatische alle Fachbereiche ab.
So ergibt sich zum Beispiel in Frankreich in einer neuen Studie ein trauriges Bild:[39]
Von 924 Psychiater:innen haben 60,2% noch nie eine Schulung zu dissoziativen Störungen erhalten.
Deswegen musste die Antwort „Nein“ auf die Frage, ob sie je schon mal DIS-Patient:innen behandelt hätten, ebenso hoch ausfallen. Nur 19,5% gaben an, vorbehaltlos an die Existenz der DIS zu glauben. Passend dazu wurden von 50% der Befragten dieselben Fehlannahmen beschrieben, wie sie aus der medialen Verzerrung entstehen.
Die Studie schließt mit dem Fazit, dass eine bessere Ausbildung dringend nötig ist.
In internationalen Studien liegt die Prävalenz der DIS zwischen 0,5% und 10% in der Allgemeinbevölkerung. Und DIS-Betroffene machen bis zu 40% der Behandlungen in psychiatrischen Kliniken aus. Die Lage ist also in etwa so, als ginge man zu einem Hausarzt, der sich nicht mit Bluthochdruck oder Typ-2-Diabetes auskennt und nicht einmal daran glaubt, dass es so etwas gibt.[40]
Jetzt kann man sich ausrechnen, wie viele Menschen mit einer DIS allein deswegen fehldiagnostiziert und entsprechend auch fehlbehandelt werden. Dahinter stehen Menschenleben! Ganz reale Menschen, die leiden und keine adäquate Hilfe bekommen, weil ihre Psychiater:innen nicht ausreichend ausgebildet sind.
Ich schätze, dass die Prävalenz der ahnungslosen Psychiater:innen in Deutschland nicht viel geringer ausfallen dürfte.
Das ist das Unwissen, das False Memory und Skeptiker instrumentalisieren können oder auf das sie selbst hereinfallen. Letzendlich krallen sie sich an einer Handvoll fehlbehandelter Menschen fest, die vielleicht tatsächlich eine suggestive Therapie hinter sich haben. Sie schwenken die Fälle hin und her, wie eine übergroße Fahne, und konstruieren daraus einen Skandal ungeahnten Ausmaßes.
Ich will hier kein Leid vergleichen, aber die Zahl der aufgrund des Unwissens der Behandler:innen Fehlbehandelten ist um ein Vielfaches größer. Wer setzt sich denn mit großen Medienkampagnen für diese ein?
Machen wir doch an dieser Stelle einen kurzen Schwenk über die Validität der DIS-Diagnose:
Nach jahrzehntelanger klinischer Forschung wurde 1980 die Diagnose Multiple Persönlichkeitsstörung (MPS) zum ersten Mal in das diagnostische Manual DSM III aufgenommen.[41]
Häufig sind Diagnosen und die Kriterien, anhand derer man eine Diagnose stellt, im Wandel, und passen sich jeweils der aktuellen Forschung an.
So kam es dazu, dass die Multiple Persönlichkeitsstörung seit 2013 im DSM IV unter der Bezeichnung Dissoziative Identitätsstörung geführt wird. Denn streng genommen ist das Viele-Sein keine Persönlichkeitsstörung, sondern eine der Identität.
Die Diagnosekriterien wurden entsprechend angepasst.
Ich lernte erst kürzlich einen Kinderschutzexperten und Psychiater kennen, der darüber nicht informiert war und mich fragte, wie es denn sein könne, dass die DIS-Diagnose erst 2022 in der ICD11[42] in Kraft getreten sei, aber bereits seit Jahren gestellt würde.
Ja, eben wegen des DSM IV.
Er meinte auch, er hätte noch nie ein Kind mit einer DIS erlebt. Er wusste aber weder, wie man Dissoziation bei einem Kind erkennt, noch wusste er, dass es diagnostische Verfahren gibt, die speziell an Kinder angepasst wurden.[43]
Traurig eigentlich, dass wir als Laien das Wissen haben und es den „Experten“ erst vermitteln müssen.
Das DSM wird von der American Psychiatric Association herausgegeben und entsteht in Zusammenarbeit mit einem großen internationalen Expertengremium und der WHO.
Zu den Ländern, die den DSM als Referenz anerkennen, und den Expert:innen, die das Gremium stellen, gehören Kanada, Australien und Neuseeland, Großbritannien, China, Japan, Lateinamerika und Deutschland sowie andere europäische Länder wie Frankreich, Spanien, Italien, Niederlande, Belgien, Schweden, Norwegen, Schweiz, Österreich, Portugal, Irland und Griechenland.
Ich halte es für bezeichnend für den Hochmut der False-Memory-Anhänger, sich als größere Experten für Diagnosen und Zusammenhänge darzustellen als ein Zusammenschluss aus Experten und Gremien all dieser Länder zusammen.
Auch bezüglich der organisierten, rituellen Gewalt glauben die False Memorianer und Skeptiker es besser zu wissen als Wissenschaftler, besser als Traumaexpert:innen, besser als Kriminalprofessor:innen[44] und besser als Kriminalhauptkommisar:innen[45].
Ja, auch besser als Betroffene selbst und jene, die täglich mit diesen arbeiten.
Sie wissen es also angeblich auch besser als die UBSKM[46] und ihre Äquivalente in anderen Ländern wie RAINS[47], Survivorship (USA) sowie ISSTD[48], RACH[49] und die ISTSS[50] auf internationaler Ebene und die DGTD[51], DPtV[52] und DeGPT[53] in Deuschland.
Eben besser als all jene, die sich auf politischer und fachlicher Ebene mit diesen Themen auseinandersetzen.
Die False Memorianer fordern „neue Akteure“ in diesem Forschungsbereich und machen doch nur jede und jeden unglaubwürdig, der sich erneut damit auseinandersetzt, aber nicht ihre Thesen vertritt.
Sie scheinen es akzeptabler und professioneller zu finden, wenn eine ausredende (therapeutische) Suggestion stattfindet, weil das ja „alles nicht sein könne“.
Und ja, man kann auch den Bock zum Gärtner machen.
Oder um es umgangssprachlich zu sagen: „Kannste machen, ist dann aber scheiße.“
False Memory und die Skeptiker kritisieren mit Hilfe der Scheinexpert:innen in der aktuellsten GWUP-Broschüre[54] und ihren Webauftritten auch den interdisziplinären Austausch zwischen Wissenschaftler:innen.
Was sonst in jeder Hinsicht in der Wissenschaft als seriös gilt, wird mittels dieser Unterstellungen in der GWUP-Broschüre von und mit Kai Funkschmidt zur „Verbreitung von Verschwörungstheorien im kleinen Kreis“.
Und wird auch zu einer angeblichen „Weigerung, sich mit der akademischen Wissenschaft außerhalb der eigenen Kreise auseinanderzusetzen“ umgedeutet.
Durch die behauptete Radikalisierung in Fachkreisen gilt laut Skeptikern nun jede/r, der/die daran teilgenommen hat, für die Skeptiker als mit Verschwörungstheorien „infiziert“. Auf dieser Basis wird deren Expertise unglaubwürdig gemacht.
Die Diskreditierung von Betroffenen und Trauma-Therapeut:innen und die Leugnung des aktuellen Forschungsstand nennen die Skeptiker und FMD „Opferschutz“.
Um diesen durchzusetzen, rufen sie, wie schon damals die FMSF, dazu auf, Therapeut:innen, die Betroffene von organisierter und ritueller Gewalt behandeln, wegen angeblicher Fehlbehandlung zu verklagen und ihnen die Lizenzen zu entziehen.
In der Schweiz sind ähnliche Strukturen wie hierzulande am Werk. Dort wurden bereits Psychiater:innen die Lizenzen zur Berufsausübung entzogen, weil sie ihren Klient:innen glaubten. Hunderte Patientenakten einer Klinik wurden ohne Rücksicht auf Persönlichkeits- und Datenschutz oder Schweigepflicht von einer ähnlich voreingenommenen Kommission auf „Verschwörungs-theorien“ durchforstet. Statt den Umkehrschluss zuzulassen, dass organisierte und rituelle Gewalt ein durchaus häufigeres Problem darstellt, wurde „beschlossen“, dass die Therapeut:innen das in großer Zahl ihren Klient:innen eingeredet hätten.
Und Dr. Urbaniok hält das für ein „leuchtendes Beispiel für ganz Europa“.[55]
Jedoch sollte der Fakt, dass es Fachmenschen, Mediziner:innen, Forscher:innen und Therapeut:innen gibt, die sich schwerpunktmäßig mit Traumafolgen, ihren Ursprüngen und Behandlungen auseinandersetzen, keines der Kriterien sein, die eine Fehlbehandlung oder gar eine „Radikalisierung“ der Forschenden markieren. Der Fakt, dass sie Grenzerfahrungen wie unsere ernst nehmen, sollte ebenfalls keines der Kriterien sein, da die Behandler:Innen die entstandenen Folgen im Therapiesetting bezeugen können.
Und genausowenig kann man es an Vokabeln wie „rituelle Gewalt“ oder „Mind Control“ festmachen.
Aber darauf werden wir auch später noch einmal genauer und im Einzelnen eingehen.
Mittels ihrer Polemik versuchen FMD und Skeptiker, jede weitere Ausbildung bzw. Fortbildung und Kongresse zu verhindern, um somit die Expert:innen voneinander zu isolieren. Teilweise mit Erfolg.
So wurde als Reaktion auf die Berichterstattung im Spiegel[56] eine Fachtagung zum Thema organisierte, sexualisierte und rituelle Gewalt in München abgesagt, die Skeptiker feierten das auf ihren Seiten lauthals als Sieg und kritisierten weitere geplante Fortbildungen.
Der eingangs schon erwähnte satanische Hohepriester der „Brotherhood of Samael“, der unter dem Pseudonym Francis Dollarhyde aus ganz eigenen Gründen bei den Skeptikern mitmischt,[57] postete auf Facebook diesbezüglich hämisch: „Wir gewinnen, ihr verliert.“ Und spricht damit (so mein Empfinden) explizit alle Betroffenen von ritueller Gewalt und ihre Helfernetzwerke an.
Mir wird spätestens dabei klar, dass es niemandem von ihnen um die Wahrheit geht, sondern nur um das „Gewinnen“. Erst kürzlich postete Dollarhyde in einem Kommentar zum Thema „Satanic Panic“ auf Facebook neben dem Bild eines Fachbuches die Aussage: „Das Buch hat so viel Leid verursacht“. Auch hier wird der Fokus verschoben.
Therapeut:innen seien angeblich für so viel Leid verantwortlich. Wahre Täter:innen, die Kinder foltern, kommen in diesem Narrativ nicht vor.
Die Skeptiker spekulieren darüber, dass ein Teil der deutschen Bundesregierung an dem angeblichen Verschwörungstheorie-Netzwerk beteiligt sei.
Aber uns werfen sie gleichzeitig das Verbreiten von Verschwörungstheorien vor und behaupten, dass es keine Täternetzwerke geben könne, schon gar nicht bis in einflussreiche Kreise.[58],[59]
Das passt zu folgenden Zusammenhängen:
Wir sind im Besitz von Screenshots einer sehr schnell wieder gelöschten Facebook-Kommunikation zwischen Dollarhyde und dem Sekten- und Weltanschauungsbeauftragten der evangelischen Kirche (ja, schon wieder die evangelische Kirche), Andreas Hahn. In dieser kommen sie (meiner Meinung nach) überein, dass man die UBSKM abschaffen sollte. Sie sei der „Knackpunkt“. Degradierend wird hinzugefügt, es sei nur wenig mehr als eine Selbsthilfegruppe, aber eben eine sehr mächtige.
Mittels derartiger Kampagnen versuchen diese Akteure die Politik unter Druck zu setzen. Sie fordern geradezu von der UBSKM, die Aufklärungsarbeit und die geförderten Beratungsstellen und Hilfetelefone für Opfer von organisierter, sexualisierter und ritueller Gewalt einzustellen.
So auch das Hilfetelefon Berta, bei dem in den ersten zwei Jahren, seit dem Start 2019, bereits 5.500 Beratungsgespräche geführt wurden.
Der Bedarf ist da! Das zeigt sich doch auf diese Weise sehr deutlich.
Und ohne Unterstützer- und Helfernetzwerke sind Betroffene in einer sehr prekären Lage. Ich weiß, ich wiederhole mich, aber ohne passende Behandlung sind Menschenleben in Gefahr!
Aber das ist den Skeptikern offenbar egal. Sie nennen das, was sie tun, weiterhin „Opferschutz“ und tun so, als müssten sie uns vor den Therapeut:innen und Hilfsangeboten schützen, die uns all das erst einreden würden. Ich lache mich später tot, ja?
Hat mich je jemand gefragt, ob ich von ihnen „gerettet“ werden will? Nö, will ich nicht. Danke, aber nein danke.
Aber: was ist denn nun dran, an dem angeblichen Opferschutz, den sie sich auf die Fahnen schreiben?
Nun, die False Memory Deutschland steht auch an der Seite derer, die nach eigenen Angaben eine suggestive Therapie erlebt haben, in der ihnen ein Missbrauch nur eingeredet wurde.
Das würde ich gerne sehr löblich nennen, denn natürlich kommen Fehlbehandlungen manchmal vor.
Auch unter Therapeut:innen gibt es, wie in jedem Berufsfeld, unprofessionell arbeitende Menschen.
Du wirst in unserer Timeline Unprofessionalität und Stigmatisierung mehrmals hautnah miterleben. Nur eben ganz anders, als FMD es behauptet.
Das Problem ist, dass FMD diese Betroffenen von Fehltherapien für die Behauptung instrumentalisiert, dass es bei fast allen anderen genauso gewesen sein müsse.
Durch diese unzulässige und unbelegte Verallgemeinerung erschaffen sie ein Therapeut:innen-Feindbild.
Eine Handvoll Opfer von Fehltherapien und ihre Angehörigen stoßen, aufgrund von Voreingenommenheit, in dasselbe Horn wie die FMD und die Skeptiker.
Das erkennt man gut an den „Fallbeispielen“, die False Memory teilt. Der Klassiker ist immer eine junge Frau, die erkennt, dass sie fehlbehandelt wurde. Sie weiß nun, dass ihr der Missbrauch mitsamt der DIS nur von der Therapeutin eingeredet wurde. Nachdem die junge Frau das erkannt hat, zweifelt sie die Existenz der DIS generell an und sagt: Ich bin absolut davon überzeugt, dass es das Krankheitsbild DIS nicht gibt und nie gegeben hat. Es ist ein gigantisches Rollenspiel, von Therapeuten künstlich erschaffen.“
Einer dieser Angehörigen führt die bereits erwähnte Homepage bezüglich Satanic Panic,[60] die auch Bernd Harder, als Autor der Satanic-Panic-Beiträge auf der offiziellen Homepage der GWUP, fleißig zitiert.
Ebenso wie eine selbst Betroffene der DIS, die unter der prominenten Adresse dissoziationen.de die Fehlbehauptungen der FMD und der Skeptiker unterstützt. Sie stellt sowohl wissenschaftliche Fakten als auch Aussagen von Betroffenen verdreht dar.
Auch zwischen dieser Blog-Autorin mit dem Pseudonym Marvel Stella und dem Blog der GWUP herrscht ein reger Zitate-Austausch.
Damit sollte nun klar geworden sein, warum ein Buch wie unseres absolut notwendig ist.
Denn es scheint mir, als wäre sonst kaum jemand in der Lage, diese Zusammenhänge zu erkennen. Oder es fehlt an Mut, diese in klare Worte zu fassen.
[1] Ich mag das Wort Missbrauch nicht. Es impliziert irgendwie, es gäbe es einen akzeptablen „Ge-brauch“.
Dennoch werden wir das Wort benutzen. Lies es bitte als Synonym für physische, sexualisierte und/oder emotionale Gewalt.
[2] Wir werden den Begriff „Opfer“ häufiger verwenden, da dieser unserer Meinung nach als wertfreie Beschreibung zurückerobert werden sollte. Das Wort wird heutzutage viel zu oft beleidigend oder zur Demütigung und Stigmatisierung genutzt. Fakt ist: wir waren Opfer. Wir waren hilf- und machtlos ausgeliefert. Das macht uns weder schwach noch wertlos.
[3] Siehe auch: Teil 2, Abfuck, Kapitel 12, Fehlinformationen & Wissenschaft
[4] Dieses Buch werden wir häufiger zitieren: Hans Delfs „Falsche Erinnerungen an sexuellen Missbrauch: Die unterschätzte Gefahr. Traumatherapie und Familienzerstörung.“ Novum, Neuauflage 2024, ISBN: 978-3-99146-613-0
[5] Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften e.V.
[6] Von innen kommend, ohne äußere kausale Ursache.
[7] Siehe auch Dunkelzifferkapitel 33, Wir sind anders
[8] Ich verstehe nicht, was daran falsch sein soll.
Jede Diagnose, auch im somatischen Bereich, wird auf Basis von Expertenerfahrungen kreiert, die mit Betroffenen arbeiten und ernst nehmen, was diese über ihre Symptomatik und Erlebnisse berichten.
[9] Jede dieser Behauptungen werden wir in Teil 2, Abfuck, Kapitel 12 „Fehlinformationen & Wissenschaft“, noch einmal gesondert behandeln. Speziell diese: Kapitel 12.5, „Trauma und Vergessen“.
[10] Zu denen gehören auch die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und die DIS.
[11] Deutsche Psychotherapeuten Vereinigung. Psychotherapie aktuell, „Petitionspapier zur psychotherapeutischen Behandlung der Folgen sexuellen Missbrauchs“.
[12] Fokus.de, Gesundheit, „Post-Konzert-Amnesie“ Taylor Swift Syndrom - Fans so begeistert, dass sie Konzert vergessen. 7/24
[13] Deutschlandfunk Nova, Erinnerungslücken, So entsteht die Post-Konzert-Amnesie, 7/24
[14] Vergleiche: Spiegel Artikel, 18/1996, „Totes Huhn am Kruzifix“ sowie Heide-Marie Cammans, Wege ins Leben, „Okkultismus zwischen Suche und Sucht“, Georg Bitter Verlag, 1990, ISBN 3-7903-0404-2.
In dem Buch beschreibt Frau Cammans u.a. noch kritische Gruppierungen mit Sektenstrukturen und Ideologien, die Ekeltraining, sexuelle Gewalt, Sexualmagie, Inzest und Pädasterie ausüben.
[15] Der Spiegel 11/23, 12.03. 2023, „Vermeintliche Opfer ritueller Gewalt. Im Wahn der Therapeuten“, von Beate Lakotta und Christopher Piltz.
[16] Kai Funkschmidt (Hg), „False Memory, In der Therapie wiedergefundene Erinnerungen“, EZW-Texte 266, ISSN: 0085-0357
[17] Im Dunkelzifferkapitel 68, „Mach das mal schön alleine. Täterkontaktabbruch“, greifen wir das Thema noch einmal auf.
[18] Teil 2, Abfuck, Kapitel 12.8, Felinformationen vs. Wissenschaft, „Alles eingeredet“
[19] ARD Radio Feature. SR2, Kulturradio, 2023. Falsche Erinnerung. Doku über False Memory und sexuelle Gewalt.
Von Michael Weisfeld.
[20] Jörg Fegert et al. Für die Unabhängige Beauftragte für Fragen sexuellen Kindesmissbrauchs, Expertise, „Die Methode der forensischen Glaubhaftigkeitsbegutachtung im deutschen Sprachraum“
[21] Dr. Christine Bergmann für das Deutsche Jugendinstitut e.V. (Hrsg), „Sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Jungen in Institutionen“, Abschlussbericht im Auftrag der Unabhängigen Beauftragten zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs, 2011.
[22] Eine derartige Therapieform existiert nicht über die Webpräsenz der False Memory hinaus. Dort werden tatsächliche Behandlungsmethoden falsch dargestellt. Ganz so, als seien es Postulate aus der Traumaforschung. Das ist nicht der Fall. Es ist eine Karikatur der Wahrheit.
[23] Genauere Informationen dazu in Teil 2, Abfuck, Kapitel 12.1.Gründungsväter und Geschichte der False Memory
[24] Geulen, C. (2010). An alle! Über populärwissenschaftliche Texte. In: Ruhl, K., Mahrt, N., Töbel, J. (Hrsg) Publizieren während der Promotion. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-92386-4_14
[25] Süddeutsche Zeitung, April 2024, Alles „woke“? Wie sich ein Verein für kritisches Denken selbst zerlegt.
[26] Alt-Right ist eine Selbstbezeichnung, die in den USA von ultrarechten Aktivist:innen genutzt wird. Ihr Ziel ist es, die angebliche Überlegenheit der weißen, christlich geprägten Bevölkerung zu sichern. Sie wendet sich gegen soziale Gerechtigkeit, politische Korrektheit, Diversität, Inklusion und Migration.
[27] Aus diesem Grund musste eine Satire-Sendung über rituelle Gewalt von Jan Böhmermann vom ZDF nach einer Abstimmung im Fernsehbeirat depubliziert werden, und nicht, wie vom Satanic-Panic-Portal (Infoportal-sp.de) behauptet: ein Fachbeitrag. Hier sieht man schon sehr gut, wie sie mit kleinen Fehlinformationen bewusst Meinungsmache betreiben. Man könnte auch in die Forderungen nach einer erneuten Abstimmung hineindeuten, dass die GWUPsche Vorstellung von Demokratie beinhaltet, so oft abzustimmen, bis das Ergebnis gefällt.
Darüber hinaus will ich zu der Sendung nur noch sagen: Der Job eines Satirikers ist, die Realität zu überzeichnen. Dies auf dem Rücken von Menschen zu tun, die als Kinder auf brutalste Weise missbraucht wurden, und die Satire mit auf Fehlinformationen zu vermischen, ist mehr als ekelhaft.
[28] Siehe auch Dunkelzifferkapitel 44, Augenfarbe wechseln?
[29] YouTube, Mary Knight, Ritual Abuse: „Am I crazy? My journey to determine if my memories are true.“ 26. Nov. 2022.
[30] Eleanor C. Goldstein, Herausgeber: Social Issues Rescources Series 1992, Confabulations: Creating False Memories, Destroying Families, 1992, ISBN 978-0897771443
[31] Verschwörungstheorie: Vom satanisch-rituellen Missbrauch (Lydia Benecke u.a.) Skepkon 2018
[32] Quelle und Zusammenhang findet sich in Teil 2, Abfuck, Kapitel 1, Lerntheorie
[33] SWR2 Radiobeitrag: SWR2 Wissen, „Erinnerung an sexuellen Missbrauch - Echt oder eingeredet?“ Von Jochen Paulus, Sendung vom Dienstag, 13. Februar 2024, 08.30 Uhr, Redaktion: Sonja Striegl, Regie: Andrea Leclerque.
[34] Teil 2, Abfuck, Kapitel 12.4, Fehlinformationen vs. Wissenschaft, „Dis und Trauma im MRT“
[35] YouTube. Satanic Panic Update WTF Talk, 14.11.23, ab Min. 00:35
[36] Teil 2, Abfuck, Kapitel 12, Fehlinformationen & Wissenschaft.
[37] Briana L. Snyder et al. „It's not just a movie: Perceived impact of misportrayals of dissociative identity disorder in the media on self and treatment“, European Journal of Trauma & Dissociation, Vol 8, Issue 3, September 2024, 100429. Hervorhebung durch mich.
[38] Insbesondere greifen wir das Thema auf in: Dunkelziffer, Kapitel 71, Fragen an Frau Himmel und Teil 2, Abfuck, Kapitel 10, Das Rechts-System
[39] Sonia di Marco et al. L’Encéphale, 31:S0013-7006(24)00091-5, May 2024, A cross-sectional survey on French psychiatrists‘ knowledge and perceptions of dissociative identity disorder. https://doi.org/10.1016/j.encep.2024.02.003
[40] Zur Prävalenz und der Schwankungsbreite: Teil 2, Abfuck, Kapitel 12.2, Fehlinformationen vs. Wissenschaft, „Eine DIS ist selten“
[41] DSM= Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders
[42] Die ICD-Klassifikation ist ein weltweit anerkanntes System, mit dem medizinische Diagnosen einheitlich benannt werden. ICD steht für „International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems”, zu Deutsch und vereinfacht: „Internationale Klassifikation der Krankheiten“.
[43] Checkliste für dissoziative Erfahrungen von Kindern (CDC, Version 3) von Frank W. Putnam, MD, Übersetzung: Kinder Trauma Institut (Eva Zaoui, Helga Traub, Thomas Hensel), https://www.kindertraumainstitut.de/cms_pdf_download.php?eid=39&pdf=1, abgerufen im September 2024
[44] So macht zum Beispiel Michael Salter, ein australischer Kriminalprofessor Fälle von ritueller Gewalt anhand von Polizeiakten international beweisbar.
[45] Die Kriminalpolizeit, Zeitschrift der Gewerkschaft der Polizei. Ausgabe März 2013: Ku-Klux-Was? Rituelle Gewalt in Deutschland - (K)Ein Thema für die Gesellschaft, (k)ein Thema für die Polizei? Manfred Paulus, Erster Kriminalhauptkommissar a.D. Ulm/Donau. Sein Originalzitat findet sich im Kontext eingebettet: Teil 2, Abfuck, Kapitel 8, Rituelle Gewalt.
[46] Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs
[47](Ritual Abuse Information Network and Support) in Großbritannien
[48] International Society for the Study of Trauma and Dissoziation
[49] Independent Inquiry Child Sexual Abuse
[50] International Socienty for Traumatic Stress Studies
[51] Deutsche Gesellschaft für Trauma und Dissoziation
[52] Deutsche Psychotherapeuten Vereinigung
[53] Deutschsprachige Gesellschaft für Psychotraumatologie
[54] Diese Broschüre werde ich im Laufe dieses Buches immer wieder zitieren, da sie die gesammelten Fehlbehauptungen an einem Ort zusammenbringt:
GWUP-Broschüre, abgerufen am 2.7. 2024, Kai Funkschmidt „Rituelle Gewalt“ und „Mind Control“ Elitenverschwörung oder Verschwörungstheorie? Herausgeber: GWUP e.V. Redaktion Bernd Harder. Sie distanzieren sich allerdings selbst und schreiben: „Die vorliegende Publikation gibt eine Einschätzung von Experten wieder und ist nicht unbedingt als Positionierung der GWUP zu verstehen.“
Und ich kann mir das Aufzeigen der Ähnlichkeit nicht verkneifen: In einer Fußnote weisen sie in Bezug auf die Erlebnisberichte eines Betroffenennetzwerkes darauf hin: „Solche Schutzbehauptungen, bei denen man ungeprüfte Berichte veröffentlicht und sie sich sicherheitshalber nicht zu Eigen macht, begegnen immer wieder.“
Sie wenden also selbst das an, was sie Opfern vorwerfen.
[55] Satanic Panic Update WTF Talk, 13.11.2023
[56] Der Spiegel, 11/2023, „Im Wahn der Therapeuten, vermeintliche Opfer ritueller Gewalt“, von Beate Lakotta und Christopher Piltz, 12.3.2023
[57] Teil 2, Abfuck, Kapitel 8 Rituelle Gewalt und 8.1 Alles Satanismus?
[58] Teil 2, Abfuck, Kapitel 8, Rituelle Gewalt.
[59] Man darf auch gerne mal an das „Kentler-Experiment“ denken. Hier wurden Heimkinder mit Absicht an pädophile Pflegeväter vermittelt. Neueste Studien decken ein bundesweites Netzwerk auf, das Jahrzehntelang im Dunklen lag. Involviert waren: Behörden, Wissenschaft, Pädagogen und die Kinder und Jugendhilfe.
[60] www. Infoportal-sp.de